Epochensplitterbruch als Ende der Geschichten

Notstand der Bildung, der Infrastruktur, der Flüchtlinge, des Klimas, der Umwelt, der Ressourcen, der Wachstumswirtschaft und natürlich der davon abhängenden Arbeit: Die Inflation der verzeichneten Notstände markiert den Epochensplitterbruch als Ende der Geschichten, in denen Menschen weltweit von der Teilhabe am Wohlstand der Wachstumsgesellschaften träumen. Die große Erzählung vom Wachstum als Ziel der Geschichte, in der wir mit unseren Lebensgeschichten eingebettet sind, ist auserzählt. Selbst Angela Merkel stellte in einem Interview fest: „Wir brauchen einen nachhaltigeren Lebensstil. Und die Zeit drängt, gerade auch im Hinblick auf unsere Kinder und Enkel.“

Die Party ist vorbei und wir müssen nun den Müll aufräumen und klar Schiff machen. Da gibt es viel zu tun, wir sind verdammt spät dran und vieles ist schon endgültig kaputt. Spielen wir es am Klima durch. „Wir sind das Klima“ schreibt Jonathan Safran Foer in seinem gleichnamigen, sehr kunstvollen Buch. Nicht das Klima, nicht die Wachstumsgesellschaften, nein, wir sind das Problem. Wir sind das Problem, da wir uns nicht als soziales globales Wir verstehen und danach leben. Trotz aller Kommunikation, Vernetzung und Abhängigkeit kochen wir alle und auch alle Systeme an erster Stelle ein eigenes Süppchen, so als ob die Umwelt nur eine Rahmenbedingung wäre und nicht eben eine Mitwelt, in der alles koexistiert und überlebensnotwendig voneinander abhängt.

Selbst die der Schwarzmalerei unverdächtigen Berater von McKinsey entwerfen ein unmittelbar bevorstehendes Schreckensszenario zum Klimawandel, das von hunderten Millionen gefährdeter Menschenleben und Billionen von Dollar an Umsatzeinbußen ausgeht. Das Problem sind einfach wir. Der Klimawandel ist nur Symptom des Wachstums, der seinerseits Symptom einer Selbstbezogenheit ist, die ihre eigenen Grundlagen untergräbt.

Nachhaltige Zukunft?

Doch wie können wir eine wieder nachhaltige Zukunft sicherstellen? Durch Digitalisierung, KI- und Big Data-basierte vernünftige Systeme ohne chinesischen Autokratismus, eine global gültige Rechtsordnung der verantwortlichen gemeinsamen Nutzung von Luft, Wasser, Boden und Ressourcen? Das setzt voraus, dass die Wohlstandsprofiteure dies nicht als Einschränkung und Minderung ihrer Lebensqualität begreifen, sondern als gelebte Menschlichkeit, die Ausdruck einer empfundenen neuen Verantwortung als Weltbürger ist.

Nur empfinden müssen wir diese neue Verantwortung schon selbst, nichts kann uns dazu zwingen, einiges jedoch kann uns dazu veranlassen, z.B. die ohne Globalisierung gar nicht erst mögliche Corona-Pandemie. Anders als der Klimawandel betrifft uns Corona wirklich unmittelbar und siehe da: wir verhalten uns mehrheitlich verantwortlich. Doch wer wollte schon ernsthaft auf Corona und dessen mögliche künftige Mutationen als Anlass eines globalen Bewusstseinswandels und nachhaltig wirksame Wachstumsbremse setzen? Wer wollte ernsthaft mit anderen Formen umweltsystemischer Selbstregulierung rechnen etwa dadurch, dass sich die Lone Star Zecke durch die Klimaerwärmung weiterverbreitet, deren Biss Menschen mit Blutgruppe B eine lebenslange Fleischallergie beschert, was den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren würde? In diesem Bereich wird noch so einiges Unvorhergesehene auf uns zukommen.

So oder so, der Epochensplitterbruch als Ende der Geschichten meint nichts anderes, als dass wir alle Akteure, Statisten oder Opfer in der letzten möglichen Geschichte sind. Diese neue große Erzählung der letzten Geschichte ist an Dramatik nicht zu übertreffen. Sie handelt vom „Entweder“ einer sich umweltsystemisch ergebenden Selbstauslöschung – begleitet von Dürre, Überschwemmung, brutalen Verteilungskämpfen, Propheten und apokalyptischen Reitern – oder dem „Oder“ einer möglichst weitgehenden Rettung der Umwelt und menschlichen Zukunft, beeinflusst von Lichtgestalten, Helden und Drahtziehern aller Art.

Tatsächlich wächst die Zahl derer, die aus ihrer Gleichgültigkeit, Resignation oder Melancholie erwachen und sich als fahnentragende Akteure der letzten Geschichte begreifen, viral. Mit sehr hohem Identifikationspotential empfinden und leben sie aktivistisch die neue Verantwortung, von der tatsächlich alles abhängt.

Die Anhänger von Extinction Rebellion (XR) sind da ganz weit vorne. Ihren gemeinsamen Kampf empfinden viele bei XR als erlösend und befreiend. Bei XR kommen Menschen zusammen, die etwas ändern wollen und damit wieder echten, extrem motivierenden Sinn in ihr Leben bringen. Dem Glauben an die Wachstumsgesellschaft setzen sie ihren Glauben an die Endzeitvision entgegen, den entscheidenden Kampf der letzten Geschichte zu kämpfen, in dem allein ihre eigenen Lebensgeschichten gerechtfertigt sind.

Tatsächlich weiß niemand genau, ob und wann die Welt der Menschen untergeht. Das könnte durch einen Asteroiden oder Atomschlag schon morgen oder vielleicht nächste Woche der Fall sein, bestimmt aber in spätestens 100 Jahren, wenn wir weiterhin selbst minimalste Klimaziele verfehlen.

Natürlich hat sich schon immer alles verändert. Das ist nicht neu. Neu ist, dass die Welt, weil sie gerade komplett vom Menschen beeinflusst wird, mit gewisser Wahrscheinlichkeit bald von Ameisen oder anderem Kleinstgetier, das sich als hitzeresistent und Fallout überlebensfähig erweist, beherrscht werden könnte, was alle unsere menschlichen Pläne und Ambitionen unumkehrbar über den Haufen werfen wird.

Dennoch macht es keinen Sinn auf einem demotivierenden apokalyptischen Weltuntergangsstimmungstrip samt Kater hängen zu bleiben, denn das ist nichts als eine perfide Art des Selbstmitleids. Wir verzögern damit nur, was gerade ansteht und sei es nur ein kleiner oder großer Beitrag, um den Untergang hinzuzögern oder vielleicht sogar ganz abzuwenden. Wer weiß das schon?

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